Und Prosperpina freut sich doch – Rüdiger Maria Kampmann

Und Prosperpina freut sich doch – Rüdiger Maria Kampmann

Ein Essay zum 70. Geburtstag der Malerin Bele Bachem.
Rüdiger Maria Kampmann, 1986

Es heißt, dass in der Malerei die Engländer und die Frauen nicht reüssieren. In München hat man Grund, anderer Meinung zu sein: Vor wenigen Jahren überzeugten die Briten hier mit einer grandiosen Ausstellung vom Reichtum ihrer Malerei über die Jahrhunderte hin; und unter den fünf großen deutschen Malerinnen in diesem Jahrhundert, Modersohn-Becker, Gabriele Münter, Kollwitz, Kerkovius und Bele Bachem, ist allein schon der Name von zwei Malerinnen mit München verbunden: Aber während für die Münter die Kunststadt an der Isar nur ein Durchgangsort war auf ihrem Weg mit Kandinsky, ist die Bachem, in Düsseldorf geboren und, wie es schien, in Berlin zu frühem Ruhm bestimmt, seit 40 Jahren ein Teil der Münchner Kunstszene.In ihrem Werk und in ihrer Person lebt eindrucksvoll noch etwas von jener Schwabinger Boheme, die seit der Reventlow so viele fesselnde Gesichter gehabt hat. Bele Bachem, die heuer ihren 70. Geburtstag begeht, ist indessen zu lebendig, zu virulent, einfach zu jung, um sich in die Legende einschließen zu lassen, die sich liebevoll und doch mit dem Risiko ernsthafter Missverständnisse früh um sie zu bilden begonnen hat. Und so kommt es, dass Bele Bachem, Malerin, Graphikerin, Illustratorin, Bühnenbildnerin, Keramikerin, Bildhauerin, aber auch vielbeachtete Autorin, ein Monument in der Kunstlandschaft nach 1945, heute eine vertraute und bekannte Unbekannte ist. Vertraut ist sie dem Publikum überall in Deutschland auf sehr spontane Weise. Es muss nur die Augen schließen, um dieses oder jenes ihrer Bilder aus der Erinnerung heraufzurufen oder ein Bele-Bachem-Bild aus den typischen Elementen zusammenzusetzen, in denen die Künstlerin bei allen Wandlungen, über allen neuen Interessen und Einfällen der Komposition sich unverrückbar treu geblieben ist:
Da sind diese großen, wie für ein Welttheater geöffneten Außenräume, wüst oft von Leere und Geräumigkeit, welche an einem unendlich fernen Horizont Felsen und Bergketten begrenzen, wie ähnlich phantastisch und aufsässig sie nur Patinir gemalt hat, diese manchmal in Symbiose mit monströsen Statuen oder filigranhaft aufgebauten Häusern. Äußerst windig ist in diesen Bildern die Verlässlichkeit des Standpunkts. Es gibt Standorte für den Betrachter, die ihn hoch in der Luft platzieren. Es gibt Bilder, bei denen er von weither aus dem Hintergrund der Kulisse nach vorn kommen muss. Aber da sind ja nicht nur die in ihrer Unermesslichkeit eschatologischen Landschaften; es gibt auch die klaustrophobisch geschlossenen Zimmer, ohne Fenster, oft ohne Tür, in deren Tiefe sich das Licht in kaum noch auszumachende Ecken verkriecht. Am häufigsten allerdings findet sich jene Attrappe von Haus, die in den Außenraum übergeht. Es fallen einem Szenen ein, wo ein Zimmer mit zwei Wänden in die Gegend gestellt ist; zuweilen tut es auch ein einziges Stück Wand mit einem zerbrochenen Fenster oder ein Türrahmen mit einer halbgeöffneten Tür.
Ein sehr seltsamer Eindruck bleibt bei der Betrachtung vieler dieser etonischen Landschaften der Bele Bachem: Die Malerin hat auch sie, trotz ihrer offensichtlichen Weite, in einen Innenraum verwandelt, Orte eigentlich “off Limits”, Sperrbezirke mit unübersteigbaren, wenngleich sichtbaren Grenzen, ein immer erneutes Tschernobyl des Traums. Wie anders vermöchte sie uns zu überzeugen, dass es sich um Schauplätze unerhörter, wenn auch niemals lautstarker Dramen und ritueller Morde (nicht ohne dekorativen Reiz) handelt, dass hier der einzig geeignete Hintergrund ist für den entscheidenden Nachmittag bei der Wahrsagerin, deren Annonce wir aus der Zeitung ausgeschnitten hatten: “Madame Soleil sieht hinter den Vorhang…”, für verwickelte Haremsintrigen, vergiftete Gastmähler und markerschütternde Abschiede?
Und was für Damen! So hoch hätten wir nie zu trachten gewagt: es müssen mindestens Prinzessinnen sein, vom Zirkus natürlich, der gegenwärtig in der Vorstadt gastiert, hennaverschönte Kusinen der berühmten siamesischen Zwillinge vom Oktoberfest. Wahrsagerinnen auch, die in die besten Kreise eingeführt sind, Kaffeehausdamen in der feinsten Unterwäsche und mit Hüten wie Chrysanthemenkränze. Ihr Fleisch ist von wächserner Makellosigkeit, und man ermisst die Verführungskraft weiblicher Dessous. Niemals sind wir kundiger betört worden. Auf Kanapees der Belle Epoque, denen es nichts ausmacht, in solch bedenkliche Landstriche gerückt zu sein, sind traumhaft schöne Mädchen und Jungfrauen mit ausladend kallipygischen Formen gelagert; und über hohen, feingliedrigen Barstühlchen werden makellose Zitronenbrüstchen getragen. Was die Schönheit dieser Damen um so kostbarer macht, ist nicht zuletzt, dass wir fühlen, sie werde den Tag nicht überdauern. Sie ist unendlich verletzlich und vor allem, höchst ephemer. Bachems Bilder zeigen auch ihren Widerpart, drängen doch allenthalben auch welke Matronen ins Blickfeld, deren Schönheit “auf dem Rückweg” ist, wie die Franzosen galant sagen, erbarmungswürdige Dickleibigkeiten, welche mit ihrem Alter in Streit liegen und an Schmuck und Putz auch das letzte, Geschütz ins Feld führen.
Die Beschäftigung mit den Bildern der Bele Bachem ist Traumarbeit, ernst und heiter zugleich. Das Traumbewusstsein hat das Ich des Träumers aus dem Blick verloren. Es ist von allem Kleinmut, unvermittelt befreit und sieht sich großen Geheimnissen gegenüber, die ihn übersteigen. Traumarbeit, das ist Verschiebung, Verdichtung, Annahme des Verrät selten, nicht seine Enträtselung. C.G. Jung hat am Traum erkannt, dass er innerpsychologisches Geschehen bildhaft macht, und zweifellos setzen die Traumsymbole, aus denen alle Bilder Bele Bachems bestehen, den Menschen in Beziehung zu Urerfahrungen wie Geburt und Tod, Reifung und Verlust – die Liebe nicht zu vergessen. Und etwas, das bei einer Malerin, die keine Rationalität sein will, fast nicht angemerkt werden muss. Was die Sequenzen eines Traumes zusammenbindet und uns eine wissende Regie auch in den privaten Mythologien spüren lässt, die Bele Bachem inszeniert, ist nicht dialektische Logik, sondern Affektlogik mit ihren “subtilen Gelenken”, emotionale Logik, der weise, wenngleich dunkle Widersinn der Seele, der über aller Raison steht.

Rüdiger Maria Kampmann