Die künstlichen Paradiese der Malerin Bele Bachem – Wolfgang Sauré

Die künstlichen Paradiese der Malerin Bele Bachem – Wolfgang Sauré

Sie ist eine malende Zauberin, eine Alchimistin der Farbe und des grazilen Linienspiels. Für das Halluzinative ihrer Bilder besitzt Bele Bachem geheime Kenntnisse, ähnlich dem hexenhaften Anrühren von Rausch- und Liebestränken, mit denen suggestive Kräfte des Unbewussten frei gesetzt werden. In ihren orientalischen Märchengärten und Prunkpalästen, in den schillernd kostümierten Tänzern, Clowns, Harlekinen, Musikanten und Akrobaten wird das traumartige Klima aus androgyner Erotik und verführerischer Maskerade lebendig, märchenhaft dargestellt in weiten, nächtlich verklärten Räumen, mit fernen, nostalgischen Horizonten. Über allen Szenen der Bachem liegt der frivole und provokative Hauch aus laszivem Raffinement und dem Liebreiz mädchenhafter Unschuld, mit einer Neigung zum Bizarren und Exzentrischen. Bele Bachem beschwört mit leichter und eigenschöpferischer Hand eine Welt der Zwischentöne, des Vieldeutigen und Phantastischen, angereichert von Fabelwesen wie Sphingen, Zwitterwesen aus Schmetterling und Mensch, Schlangen, orientalischen Odalisken und jenen halbnackten, vollweiblich-sensuellen Frauengestalten, die neben den feminisierten Männern ihre Feenwelt bestimmen. Das feinnervig Flirrende in der erotischen Sensibilität bei den Werken der Bachem, die Sinnenfreude an schön geformter Nudität, lassen an die freizügigen Bilder von Hofdamen in der Schule von Fontainebleau denken, an Clouet und Primaticcio.
Sie stammt aus einer alten rheinischen Zeitungs- und Buchverlegerfamilie, die zum Kölner Bürgeradel gehört. Der Urgroßvater, so ist im Großen Meyer Lexikon nachzulesen, der Verleger Joseph Bachem, macht sich Mitte des vorigen Jahrhunderts um die katholische Belletristik verdient und besitzt das publizistische Monopol für sämtliche Schulbücher im Raum Köln. Bele Bachem wird im Mai 1916 in Düsseldorf geboren, einer kulturell fortschrittlich eingestellten Industriestadt. Die künstlerische Nähe zu Holland, Belgien und besonders zu dem progressiven Frankreich ist spürbar, die sich weit über ihre Grenzen hinaus durch die Landschafts- und Historienmalerei der älteren Düsseldorfer Schule sowie die stark literarisch engagierte Dumont-Bühne einen Namen erworben hat. Der Vater, Gottfried-Maria Bachem, ein bekannter Kunstmaler von Landschaften und Porträts im Stil Lenbachs, in dessen Atelier sie von klein auf zeichnete und malte, ist stolz auf sein kleines Wunderkind und meint scherzend: “Du bist ein zweiter Rubens, fange gar nicht erst an, etwas lernen zu wollen”. Anstatt die Schule zu besuchen, wird sie vom Vater im Modellzeichnen geradezu dressiert und in die Grundbegriffe der Kunstgeschichte eingeführt. Das dabei zu kurz bemessene Schulwissen wird dann in Internaten nachgeholt. Der Vater bleibt während langer Zeit eine überstarke und strenge Bezugsperson. Das 1959 in dunkler, gewittrig-bedrohlicher Farbchromatik gehaltene Bild “Vater und Kind” erinnert daran und ist geladen mit psychodramatischer Spannung.

1933 geht Bele Bachem, inzwischen siebzehnjährig, nach Berlin zum Studium der Malerei an den Vereinigten Staatsschulen bei den Professoren Barthning, Rössner und Kaus. Amüsant erzählt sie über diese Zeit: “Auch die Professoren dort behinderten mich. Lassen Sie das Lernen, setzen Sie sich in eine Ecke und malen Sie Ihre Phantasiebilder, sagten sie.” Damit sind die spielerischen, anmutigen und miniaturhaft fein gemalten Szenen in Tempera gemeint, von unmittelbar Erlebtem, von Freunden, Interieurs mit Menschen wie “Im Hutsalon” oder “Der Liebesteppich”, dann Ansichten von Berliner Rummelplätzen. Das Orientalische und der Haremsprunk gehen eine berückende Verbindung auf den Miniaturblättern “Tausendundeine Nacht” ein. Malerei als mühelos und spontan sich äußerndes Naturtalent, das war ihr ganz einfach in die Wiege gelegt worden. “Ich bin mit einem eigenen Stil geboren, allem Suchen danach war ich enthoben”, meinte Bele Bachem mit dem ihr eigenen Charme. Etwas mit ihren Händen bildnerisch zu gestalten, ständig und von klein auf bis ins hohe Alter, das ist ihr Lebenselement, ihr geheimer, natürlicher Antrieb, ihr Stimulans. Wer ist diese Künstlerin, die schon ab 1950 zu den bekanntesten Frauen Deutschlands zählte? Die Wochenzeitschrift Der Spiegel widmet ihr 1955 eine Titelseite und deren Name von ihrem Biographen Rüdiger Maria Kampmann im Zusammenhang mit bedeutenden Malerinnen wie Modersohn-Becker, Münter, Kollwitz oder Kerkovius genannt wird. Neben ihrer schöpferischen Besonderheit im Stilistischen ist die ungewöhnliche Vielseitigkeit ihres Schaffens auffallend. Bele Bachem ist als Malerin, Zeichnerin, Druckgraphikerin, Buchillustratorin, Bühnen- und Kostümbildnerin, Filmausstatterin, Plakatentwerferin, Keramikerin, Bildhauerin und Autorin sowie Illustratorin von über hundert eigenen Büchern und solchen anderer Autoren tätig. Als Dozentin im Fach Illustration lehrte sie von 1954 bis 57 an der Werkkunstschule Offenbach. Ab 1939 veröffentlicht Sie “Poetische Miniaturen” in den Zeitschriften Die Dame, Elegante Welt und Neue Linie. Der Verlag Woldemar Klein in Baden-Baden brachte daraufhin Postkarten-Serien von diesen altpersisch anmutenden Kleinformaten heraus. 1940 heiratete sie den Kunsthistoriker, Maler und Schriftsteller Dr. Günther Böhmer. Im gleichen Jahr kommt die Tochter Bettina zur Welt, die später in München als begabte Fotografin tätig ist. Für “Minifie” an den Münchner Kammerspielen unter Otto Falckenberg entwirft Bele Bachem 1941 zum ersten Mal Bühnenbilder. Die Kulturabteilung der NS-Regierung verbietet im gleichen Jahr sämtliche Veröffentlichungen von ihr. Eine bereits geplante Ausstellung darf nicht stattfinden.

1944 in Berlin ausgebombt, lässt sie sich nach längerer Irrfahrt durch Deutschland am Starnberger See nieder, zieht 1950 mit ihrer Familie nach München und war seitdem ein Teil der Kunstszene dieser Stadt. “In ihrem Werk und ihrer Person lebt eindrucksvoll noch etwas von jener Schwabinger Boheme, die seit der Reventlow so viele fesselnde Gesichter gehabt hat”, schreibt ein Kritiker. Treffend wird sie so charakterisiert: “mit träumerisch-wissendem Blick, zart wie ein bunter Paradiesvogel, analog zu ihren Bildern”. Diese machen sie im In- und Ausland durch viele Ausstellungen bekannt, in Galerien, Kunstvereinen und Museen. Bele Bachem erhält mehrere Auszeichnungen, darunter 1950 den Preis Sankt Margarethen für das Temperabild “Das rote Liebesbett”, das ein in einem Bett umschlungen liegendes Paar vor einer brennenden Stadt darstellt, eine in glutvollen Farben gemalte Vision der Liebe und ihrer Bedrohung. Das Thema der Vergänglichkeit von Gefühlen, der Scheinharmonie, gar des Unheils, findet sich häufig in ihrem Werk, dargestellt mit dem Verfahren von verschiedenen Bildebenen und gezielter Nichtbeachtung der Perspektive, auch mit bewusster Verschiebung von Größenverhältnissen wie auf “Verlobte vor vereister Kulisse” (1957), alptraumartig-verfremdet im Ausdruck und von düsterem Humor. Bele Bachem ist eine freigeistige Malerin, die sich manchmal religiöser Motive bedient Einflüsse von frühchristlicher Ikonenmalerei zeigen sich in der alttestamentarischen Opferbeschwörung “Isaac” (1958), ein groteskes und unrealistisches Legendenbild über archaischen Wunderglauben und dessen Verblendung. In ihrer Erzählkunst steht der Mensch mit seinen unergründlichen Facetten im Mittelpunkt. Daher malt sie immer wieder Porträts, besonders von Frauen, darunter “Bettina Moissi mit Freundin”, pikant und in frei variiertem, französischen Salonstil gehalten. dann auf den diversen Abwandlungen von “Susanna im Bade” oder indolent hingestreckt “Die Dichterin Nina Adler mit Katze” (1956). Den Schauspieler Charles Regnier stellt sie bühnenwirksam und mit dandyhaftem Snob-Appeal vor. Von schwungvoller Linie und erotischer Freizügigkeit sind ihre Entwürfe für die Lithographie-Serie “Oedipus” (1970), die entfernt an Beardsley und japanische Holzschnitte erinnern. Es entstehen erlesene Damen mit pikant-schwellenden Schenkel- und Busenformen, artifiziell und nicht frei von Selbstironie. Es sind wiedererstandene Serpentinata-Figuren des italienischen Manierismus und Selbstprojektionen der Bachem, in denen sich das Unvergleichliche ihrer Handschrift am deutlichsten, weil persönlichsten, ausdrückt. Tänzerische und pittoreske Figurinen gestaltet sie auf den Dekormalereien für den Porzellanhersteller Rosenthal in Selb und für die Karlsruher Majolika-Manufakturen. Grazie und Verzauberung gehen von ihren Theaterkostümen und Bühnenbildern aus, für Stücke von O. Wilde, Goldoni, Goetz oder Lope de Vega, auch Mozarts “La finta semplice” sowie das Blacher-Balett “Chiarina” stehen auf dem Programm.
1952 erhält Bele Bachem den Plakatpreis Toulouse-Lautrec. Ebenfalls als “Grafikdesignerin” bekundet sie mit lockerer Hand eine sichere und prägnante Charakterisierungskunst und entwickelt sich zu einer vielumworbenen Meisterin der Illustrationsgrafik. Sie entwirft zahlreiche Affichen im In- und Ausland für berühmte Faschingsfeste im Münchner “Haus der Kunst”, für Filme wie “Rheinsberg” und “Jules et Jim” von Francois Truffaut oder für ihre eigene Ausstellung in der Bodley-Galerie in New York. Kurt Hoffmann engagiert sie mehrmals als Ausstatterin für seine Filme, auch für den geistreichen Vorspann zu “Das Wirtshaus im Spessart”. Diese “lustige, musikalische Räuberpistole”, so der Untertitel, setzt Bele Bachem auf ihrem dazu entworfenen Plakat in ein heiter-frivoles Figurenemblem um, mit der ihr genuinen Befähigung für Bildesprit und visuell-wirkungsvolle, grafische Kommunikation. Sie unternimmt weite Reisen, in südliche Länder Europas, nach Marokko, Pakistan, Indien und in die Türkei und setzt die erlebten und aufgezeichneten Erfahrungen des Exotischen motivisch frei um in Ornamente, seltsame Tiere und Pflanzen, in orientalische Architekturen und Gärten oder folkloristische Farbigkeit von dunkelhäutigen Menschen. Themen der antiken Mythologie, dann Instrumente und Gegenstände der mittelalterlichen Geheimwissenschaft finden Eingang in ihr Schaffen. Vorgetragen mit Mitteln des Symbolismus und der Phantastischen Kunst wie auf einem ihrer Hauptwerke, dem “Alchimistenpaar” in Kasein-Technik, das 1968 in Cannes bei einer Surrealistenausstellung überraschenderweise einen Preis erhielt, obgleich es stilistisch nichts Surrealistisches enthält. Vielmehr ist es eine Ikone in der Tradition des Manierismus, von mysteriös-gespenstischer Bildaura, schrill und makaber zugleich, schon durch die kippende, schräge, verzerrte Perspektive, angereichert mit allerlei Geheimobjekten. die metapherhafte Bezüge zur hermetischen Alchimie und okkulten Wissenschaft vermitteln. “Alchimistenpaar” zeigt zwei absonderliche Schwarz-Künstler, Bele Bachem selbst, von libidinöser Präsenz, mit einer Viper im ondulierenden Blondhaar. Ihr gegenüber sitzt Ernst Fuchs, Hauptvertreter der Wiener Schule, bärtig, schwarz-gewandet und sakral-unheimlich, ein priesterlicher Hexenmeister. Beide beschwören in einem magischen Akt verborgene Mysterien des Lebens, der Kunst, der Malerei und schlitzen ein Ei auf, aus dern Blut sickert, neuplatonisches Symbol des Urgrunds, des Ursprungs und Abgrunds des Seins. “Alchimistenpaar” ist ein ambivalentes Rätsel- und Bekenntnisbild, zudem eine wunderliche, metaphysische Groteske.
Bele Bachem ist im Mai 2001 85 Jahre alt geworden. Münchens Oberbürgermeister, Christian Ude, lud sie und einige ihrer Freunde ein zu einem Festessen in die Grützner-Stuben des Rathauses. Er hielt selbst die kenntnisreiche Tischrede über Leben und Werk der Künstlerin, einfühlsam und freundschaftlich. Er erwähnte, dass Bele Bachem seit 1986 Trägerin des Titels “München leuchtet”, dem höchsten Kulturpreis der Stadt München, ist. Zum Glanz der lsarmetropole hat ihr Werk wesentlich beigetragen. Übrigens ist war Bele Bachem seit 1997 auch Trägerin des Bundesverdienstkreuzes am Band.

Wolfgang Sauré